Am 22. Oktober 1940 wurden am 6. Tag von Sukkot, dem 20. Tischri 5701, die badischen Jüdinnen und Juden - von Heidelberg bis Konstanz, vom Säugling bis zum Greis - aus ihren Wohnungen und Häusern geholt, und nur mit dem was sie tragen konnten zu Sammelstellen befohlen, an die Bahnhöfe gebracht und in Züge gezwungen - völlig ahnungslos, wohin sie gebracht werden würden oder was ihnen bevorstand. Vorher mussten sie an den Registrierungsstellen ihre Wohnungsschlüssel abgeben und Kontrollvollmachten und Verzichtserklärungen unterschreiben. Ihr Gesamtvermögen, ihre Renten sowie Pensionen wurden beschlagnahmt. Ihr zurückgelassenes Inventar wurde sofort verwertet und bald darauf öffentlich versteigert. An diesem Tag wurden rund 6.500 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Baden, der Pfalz und dem Saarland in das südfranzösische Internierungslager “Camp de Gurs“ deportiert. Die erste große planmäßige Massendeportation der Nationalsozialisten beendete das über viele Jahrhunderte gemeinsam geprägte, tief verwurzelte jüdische Leben in Südwestdeutschland.

Nach strapaziösem vier Tage dauerndem Transport durch Frankreich erreichten die Deportierten völlig geschwächt das von Stacheldraht umzäunte Internierungslager. Im Lager am Fuße der Pyrenäen herrschten menschenunwürdige Zustände. Nach ihrer Ankunft wurden die Familien auseinandergerissen, etwa 50 Personen mussten sich eine primitive Baracke teilen. Unter den schweren Bedingungen wurde das Leben für die verschleppten Menschen körperlich wie psychisch unerträglich. Die unzureichende Verpflegung, die katastrophalen hygienischen Verhältnisse sowie der vom vielen Regen dauerhaft durchtränkte, nicht passierbare Lehmboden bedeutete für viele ältere Lagerinsassen Krankheit und Tod. Im darauffolgenden Winter gingen aufgrund des Elends innerhalb nur weniger Wochen hunderte Menschen an einer Ruhrepidemie zu Grunde.

Als im Sommer 1942 die Deportation der jüdischen Bevölkerung Westeuropas begann, verließ am 6. August 1942 ein erster Transport Gurs in die Vernichtungslager im Osten. Bis 1944 wurden die letzten Verbliebenen deportiert und dort vor allem in Auschwitz-Birkenau und Sobibor ermordet.

 

Private Bürger, verschiedene Organisationen und Kirchen organisierten 1941 Hilfsprogramme, um die Not im Lager etwas zu lindern. Dank ihrer Hilfe konnten einige Kinder und Jugendliche bei französischen Familien, in Klöstern oder in Kinderheimen untergebracht und vor der Ermordung gerettet werden. Wenigen Lagerinsassen gelang auch die Flucht. Diese Geschichten hat die IRG Baden als Herausgeber in den Mittelpunkt einer Untersuchung gestellt und die Biografien von Rettenden und Geretteten, Rettungswege und Rettungsorte erkunden lassen. Die Autoren Brigitte und Gerhard Brändle haben umfassend über diese Rettungsaktionen im Lager Gurs recherchiert und stellen in ihrer Dokumentation die geretteten 560 Kinder und Jugendlichen aus den Städten und Gemeinden Badens, der Pfalz und des Saarlands vor. Ergänzt werden diese durch die Biografien ihrer (meist unbekannten) RetterInnen. Die Publikation gibt Zeugnis über Zivilcourage, Mut und Menschlichkeit.

Die Dokumentation kann direkt heruntergeladen werden unter: www.irg-baden.de/service/Gerettete und ihre RetterInnen

Weitergehende Informationen über die Deportation, dem Internierungslager Gurs und dem Schicksal der verschleppten jüdischen Bürger aus Baden zeigt die Themenseite. www.irg-baden.de/internierungslager-gurs

In diesem Jahr, an dem der 22. Oktober 2024 wieder genau auf den 6. Tag von Sukkot fällt, sind wir in Gedanken bei den verschleppten Geiseln und ihren Angehörigen und beten für ihre sofortige Freiheit und Rettung.


Gedenken
Gedenkfeiern zum 84. Jahrestag der Deportation nach Gurs unter Teilnahme jüdischer Gemeinden in Baden:

Pforzheim
Dienstag, 22. Oktober 2024 / 14:00 Uhr
Kranzniederlegung am Mahnmal am ehemaligen Hauptgüterbahnhof Pforzheim.
Erinnerung an das Schicksal der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner Badens, die am 22. Und 23. Oktober 1940 in das französische Internierungslager Gurs deportiert wurden. 195 von ihnen kamen aus Pforzheim.
Ansprache: Peter Boch, Oberbürgermeister Stadt Pforzheim, Totengebet und "El Male Rachamim": Rabbiner Moshe Yudelevitz, musikalische Umrahmung: Chor der Jüdischen Gemeinde Pforzheim. Weitere Mitwirkende: Schülerinnen und Schüler des Hilda-Gymnasiums.
Der Gedenktag wird von der Jüdischen Gemeinde Pforzheim in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und dem städtischen Kulturamt organisiert.
 

Freiburg
Dienstag, 22. Oktober 2024 / 16:00 Uhr
Platz der Alten Synagoge
Anlässlich des 84. Jahrestags der Deportation der Jüdinnen und Juden aus Baden lädt die Stadt Freiburg zusammen mit den Mitveranstaltern zu einer Gedenkfeier ein.
Ansprachen: Ulrich von Kirchbach, Erster Bürgermeister Stadt Freiburg, Irina Katz, Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde Freiburg sowie weitere. Mitwirkende: Marlis Meckel (Stolperstein-Projekt Freiburg), Wolfgang Dästner (Gegen Vergessen – Für Demokratie), Erika Weisser (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) sowie Schülerinnen und Schüler des Walter-Eucken-Gymnasiums. Gebete: Kaddisch und "El Male Rachamim". Schweigemarsch und Kranzniederlegung: Mantel-Mahnmal auf der Wiwili-Brücke.
Der Gedenktag wir vom Kulturamt Stadt Freiburg in Zusammenarbeit mit der Israelitischen Gemeinde Freiburg und weiteren organisiert.

Mannheim
Dienstag, 22. Oktober 2024 / 18:00 Uhr
Gedenken am Glaskubus, Auf den Planken vor P2
Am 22. Und 23. Oktober 1940 haben die Nationalsozialisten alle badischen und pfälzischen Juden zusammengepfercht und ins Lager Gurs deportiert. Auf den Planken wird am Dienstagabend daran erinnert.
Ansprachen: Christian Specht, Oberbürgermeister Stadt Mannheim, Totengebet und "El Male Rachamim": Kantor Amnon Seelig, Jüdische Gemeinde Mannheim, Mitwirkende: Schülerinnen und Schüler der Feudenheim-Realschule.
Rita Althausen (Jüdische Gemeinde Mannheim) und Bernhard Boudgoust (kath. Kirche): „Mit der Gedenkfeier wollen wir nicht nur ein Zeichen der Erinnerung, sondern auch ein Zeichen für das Heute und Morgen setzen. Auch heute werden jüdische Bürger nur aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit beleidigt, bedroht, verfolgt, ja sogar in ihrem Kernland Israel brutal ermordet. In unserer Stadtgesellschaft mit ihren vielen unterschiedlichen Nationalitäten, Religionen und Weltanschauungen wollen wir diesem Hass keinen Raum bieten und von Anfang an allen versuchen der Ausgrenzung und Herabwürdigung von Menschen widerstehen.“
Der Gedenktag wir von der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit Rhein-Neckar organisiert.


Konstanz
Mittwoch, 23. Oktober 2024 / 18:30 Uhr
Gedenkobelisk hinter der Dreifaltigkeitskirche
Am 22. Oktober 1940 wurden über 6500 jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Baden und der Saarpfalz in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert. Zahlreiche Deportierte kamen in Gurs und anderen südfranzösischen Lagern ums Leben, Tausende wurden ab 1942 in die Vernichtungslager in den Osten deportiert und ermordet. Auch aus Konstanz wurden an diesem Tag 112 Jüdinnen und Juden ausgehend vom damaligen Güterbahnhof in Petershausen deportiert. Beim Gedenken wird für jedes der 112 Opfer eine Kerze entzündet, alle Namen verlesen, sowie Fotos der Deportierten projiziert und ein biografischer Bericht verlesen.
Musikalische Begleitung: Martin Sadler.
Das Gedenken an die Oktoberdeportation richtet die Initiative Stolpersteine Konstanz – gegen Vergessen und Intoleranz gemeinsam mit der Synagogengemeinde Konstanz aus.
 

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